Die Kunst des Hörens – Sinnlicher Genuss durch audiovisuelle Performances

Vergangene Woche fand in Frankfurt die Luminale statt – ein sechstägiges Festival der Lichtkunst. An sämtlichen Orten der Stadt stieß man auf großformatige Licht-Installationen, hell bestrahlte Gebäude und bunte Leuchtschriften. Daneben gab es aber auch Veranstaltungen, die nicht nur auf die Wirkung des Lichts setzten, sondern mit effektvollen Live-Performances die besondere Verbindung von Visualität, Bewegung und Akustik in den Fokus rückten. 

Man sagt ja, dass beim sogenannte „Dinner in the Dark“ die Geschmackknospen voll auf ihre Kosten kommen, da das Auge nicht ablenkt und man sich auf jeden Bissen konzentrieren kann. Damit kann man ganz gut beschreiben, was ich letzte Woche erlebt habe. Dienstagabend gab’s in der Matthäus-Kirche elektronische Klänge vom Feinsten eingebettet in eine Geräuschkulisse, die sämtliche Gehör-Gewohnheiten herauszufordern verstand. Kirchen wirken auf mich ja immer irgendwie mystisch und erhaben. Als in der finsteren Atmosphäre langsam der Sound einsetzte, war die Aufmerksamkeit voll da. Eigentlich simple Geräusche, wie das „Strohhalm-Geblubber“ in Wasser oder aneinander reibendes Styropor wirken durchs Mikrophon erstaunlich imposant.

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Und wenn nach vielen fast zärtlichen perkussiven Akzenten auf einmal elektronische Beats mit Bass einsetzen, kann das schon mal durch Mark und Bein gehen. Die Musiker Max Gaertner und Tobias Hertlein experimentierten und improvisierten mit Elektronik, Percussion, interaktiver Lichtkunst und zeigten dabei sehr viel Fingerspitzengefühl. Ergänzt wurde der Schmaus um eine Installation von Dirk Baumanns, die dank ihrer reflektierenden Bestandteile ein „Lichtblick“ im sonst unbeleuchteten Raum darstellte.

Das Publikum spielte auch keine unwesentliche Rolle und wurde als interaktiver Teil der Performance selbst zum Gestalter der Darbietung: mit Taschenlampen konnte man den Rhythmus leuchten, sich unauffällig sichtbar zeigen und sich klammheimlich einmischen. Wenn laut auf leise, schnell auf langsam, komplexe Elektronik auf gleichmäßige Percussion folgt, hört man nicht nur zu sondern hin. Nicht in der Reproduktion des Geläufigen und Immergleichen sondern in der Differenz unterschiedlichster Effekte entsteht ein Bewusstsein für Musik und ihre Wirkung auf den eigenen Körper.

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Installation von Dirk Baumanns

Auch die Veranstaltung „GRID“, eine audiovisuelle Gemeinschaftsarbeit des Lichtkünstlers Christopher Bauder und des Musikers und Komponisten Robert Henke, war feinster Genuss für Ohr und Auge und brachte, wenn man sich dem „Flow“ aus Licht und Musik hingegeben hatte, den ganzen Organismus zum vibrieren und pulsieren. Der Boden der Halle war fast gänzlich von den teils sitzenden, teils liegenden Besucher bedeckt; so ganz behaglich starrten sie an die Decke, als würden sie Sterne beobachten. Vergleichsweise finster war es ja. Bis auf die Schilder, die den Notausgang markierten, lenkte nichts die Aufmerksamkeit auf sich. Die Performance begann durch den gleichzeitigen Einsatz von Sound und Licht. Beeindruckend war ihre perfekte Symbiose, die alle in ihren Bann zog. Der elektronische Sound beeinflusste unmittelbar die räumlichen Bewegungen und Lichtanimationen der Leuchtelemente, sodass der Raum sich gewissermaßen aufzulösen schien und man sich schwerelos fühlte.

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Nein, es braucht nicht immer eine mega Klang- und Lichtexplosion oder eine tobende Menge, um Eindruck zu hinterlassen. Einfach nur dazuliegen, sich zu konzentrieren und sich von seinen Sinnen leiten zu lassen, ist mindestens genau so viel Wert. Hier ging die Rechnung Musik = Genuss zweifelsohne auf.

Raus aus dem Strom, rein in die Musik
Bei meinen Besuchen ist mir wieder mal bewusst geworden, wie auffallend anders Musik wahrgenommen und gefühlt wird, wenn man sie abseits von alltäglichen und gewohnten Situationen konsumiert; wenn sie im Rahmen von Veranstaltungen wie diesen, als Teil performativer Aktionen und Live-Events, eingesetzt wird.
Musik ist omnipräsent und als ästhetisierendes Element des Alltags nicht mehr wegzudenken. Bedauerlicherweise ist sie so selbstverständlich, dass wir kaum noch hören, was wir hören. Sie ist zu einer Art Hintergrundkulisse unseres Lebens geworden. Überall und jederzeit lassen wir uns beschallen; entweder, weil wir uns von der tatsächlichen Welt und ihren Geräuschen abkapseln wollen oder, weil wir die Stille nicht ertragen.

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Wer nicht hören will muss fühlen
In seinem Buch „Das Universum der Dinge: Zur Ästhetik des Alltäglichen“ (2010) beschreibt Konrad Paul Liessmann, Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien, was es mit der Kunst des Hörens auf sich hat und wie der heutige Mensch mit Musik umgeht. Durch das Ohr findet die Welt Zugang zu unserem Innersten und das ist Segen und Fluch zugleich. Das Ohr hat seine Pforten nämlich 24/7, 365 Tage im Jahr geöffnet und lässt jeden rein; egal, ob wir das wollen oder nicht.

„Man muss nichts von Musik verstehen, um Musik auf sich wirken zu lassen, Musik muss dem Herzen verständlich sein.“

Musik als emotionale Emotionsanlage 
Das Ohr nimmt nicht nur Akustisches wahr. Das Ohr aktiviert das entsprechende Gefühl und signalisiert uns, wie wir auf das Gehörte regieren sollen. Dieser Signalcharakter entfällt beim Musikhören. Sie erfordert keine Reaktion. Mitsingen, Tanzen und rumzappeln und -wippen sind zwar gut und schön, aber nicht notwendig. Liessmann sagt, dass genau da, wo wir keine Gelegenheit haben, anders auf Gehörtes zu reagieren als mit dem Gehör, die Kunst des Hörens beginnt. Viele Menschen empfinden diesen Zustand, den man üblicherweise aus klassischen Konzerten kennt, als enorm anstrengend und halten das reine Sitzen und konzentrierte Hinhören kaum aus. Gerade experimentelle, partiell interaktive Performances sind unter diesem Aspekt ein Paradebeispiel für zeitgenössischen Musik-Genuss. Sie fordern einerseits das konzentrierte Hinhören und Antizipieren der Geräusche, andererseits beschäftigen sie das Auge ohne dabei von der akustischen Darbietung abzulenken, da sie diese perfekt ergänzen. Es handelt sich nicht um zerstreuende Reizüberflutung sondern die Reduktion und das Herunterbrechen von Effekten, damit die Reize ganz selektiert und differenziert wahrgenommen werden können. Auf diese Weise kann das Innerste erreicht und stimuliert werden.
Hören und Hinhören sind also zwei verschiedene Paar Schuhe. Nur das Hinhören kann eine intensive innere Bewegung auslösen. Und wird diese Gefühlsregung im Innersten erreicht, begreift man den Mehrwert der Musik: die Möglichkeit, sich den Störungen des Alltags zu entziehen. Liessmann formuliert das sehr treffend, indem er sagt: „Sie erzeugt eine abgeschlossene Welt des emotionalen Erlebens, eine Stimmung, einen Rhythmus, ein Pulsieren der Gefühle, die während alltäglicher Verrichtungen wie der Fahrt mit der U-Bahn eine andere ästhetische Welt generieren, ohne dass diese als formelle Unterbrechung des Alltags definiert wäre.“

Die absolute Stille
Musik beziehungsweise ihre Präsenz und Wahrnehmung ist also auch sehr stark situations- und kontextabhängig. Vor allem in Situationen, in denen wir wirklichen Gelegenheit zum „Lauschen“ haben, kann Musik Stimmung transportieren und erzeugen. Beim „Lauschen“ erreichen wir eine intensivere, konzentriertere Aufmerksamkeit, die ihren Ausgangspunkt eben nicht in der laut ertönenden Tonfolge hat, sondern im Nichts, in der absoluten Stille.

„Die Kunst des Hörend heute beginnt in einer Situation, in der man tatsächlich noch hören kann, weil es nicht zu hören gibt.“

Die Stille ist in einer Welt, in der permanent Lärm herrscht und akustische Beschallung alltäglich und daher gewöhnlich geworden ist zur Voraussetzung musikalischer Wahrnehmung im Sinne einer Kunst des Hörens geworden. Zugegeben, sie erfordert ein gewisses Maß an Ruhe, Zeit und einer nach innen gerichteter Aufmerksamkeit – für viele Menschen echte Raritäten. Ich kann nur jedem raten: Gönnt sie euch ab und zu. Sie ist es wert.

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